Im vorherigen Artikel ging es um die Angst generell, bei Mensch und Pferd. In diesem Artikel soll es nun um Bewältigungs-Strategien für das Pferd gehen. Die praktischen Übungen, die ich vorstellen werde mindern nicht nur die Angst, sondern fördern auch das Vertrauen vom Pferd zum Menschen und andersherum. Außerdem bringen die Übungen etwas Abwechslung in den Alltag und bringen sogar richtig Spaß!
Wichtig ist es, dass man sich vor jeder Übung kleine Teilziele setzt. Dies beugt zum einen Überforderung und Frustration bei Pferd und Reiter vor, da man nach jedem Teilziel aufhören kann. Haben Pferd und Mensch aber noch Spaß bei der Sache und traut man sich auch den nächsten Teilschritt zu macht man einfach weiter. Generell gesehen empfehle ich aber sich weniger vorzunehmen, weil wir Menschen oft in kürzester Zeit so viel wie möglich erreichen wollen. Aber, wie bei so vielem, auch bei der Pferdeausbildung gilt: Weniger ist oft mehr!
Das Vorbereiten
Es gibt 10 Punkte, die man vorher bestens geübt haben sollte, und die unbedingt konsequent eingehalten werden sollten wenn man mit seinem Pferd Angstüberwältigende Übungen macht:
- Kopf senken und ruhig stehen bleiben: Das Pferd senkt den Kopf nur wenn es sich sicher fühlt und sich entspannt. Diese Entspannungsübung ist also sehr wichtig, vor allem wenn es um Übungen geht, die mit Stresssituationen (Angst) zu tun haben!
- Aufmerksamkeit: Die Aufmerksamkeit des Pferdes sollte völlig beim Trainer liegen. Ebenso sollte der Trainer aber auch völlig auf sein Pferd konzentriert sein. Ein Unaufmerksamer „Führer“ ist kein guter Führer.
- Freiraum: Enge das Pferd nicht ein. Gebe ihm den Freiraum sich weg zu bewegen. Enge und Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit ist nämlich eine tief verwurzelte Angst beim Pferd. Bei all diesen Übungen sollte das Pferd nicht angebunden sein, sondern frei, oder am langen Strick gehalten werden.
- Stur wie ein Esel: Man sollte immer mehr Durchhaltevermögen haben als sein Pferd. Man sollte so tun als hätte man noch Wochen zeit für diesen einen Schritt. Geduld und Konsequenz sind das A und O.
- Ruhig bleiben: Ich denke, dass dieser Punkt der wichtigste Punkt der gesamten Liste ist. Wenn man ruhig und geduldig bleibt, hat man seine Emotionen im Griff und die Ruhe, die man ausstrahlt, geht über aufs Pferd. Ein ruhiger Mensch wirkt oft Wunder in der Pferdeausbildung.
- Entscheidungsfreiheit: Dieser Punkt ähnelt dem 3. Punkt: Freiraum. Engen sie das Pferd nicht ein. Dazu zählt auch, dass sie dem Pferd Freiraum für Entscheidungen geben sollten. Das Pferd soll zum Beispiel über die Plane treten wollen. Ein Pferd mit Zwang über die Plane treten zu wollen geht auf jeden Fall nach hinten los. Das Pferd wird nämlich die Plane mit etwas unangenehmen verbinden.
- Loser, langer Strick: Auch hier heißt es wieder engen sie das Pferd nicht ein und geben sie ihm Freiraum eigene Entscheidungen zu treffen.
- Entspannung nachher: Nach jeder Übung soll das Pferd sich wieder entspannen.
- Positives Ende: Man sollte eine Trainingseinheit immer mit einem sichtbaren (auch fürs Pferd) Teilerfolg beenden. Auch wenn er noch so klein ist, man sollte nicht probieren auf Zwang mehr herauszuholen, wenn man merkt es bringt heute einfach nichts mehr. Lieber aufhören und am nächsten Tag dort wieder anknüpfen.
- Sicherheit: Natürlich sollten alle Übungen für Mensch und Pferd so ungefährlich wie möglich sein.
Die Übungen
Das Aussacken ist nichts anderes als ein Pferd schonend an verschiedene Gegenstände zu gewöhnen. Eine Desensibilisierung findet statt. Gegenstände sind Jacken, Decken, Planen, Plastiktüten, Flatterband, Folien, klappernde Büchsen, Pfeifen, Regenschirme, Luftballons, Zischen von Spraydosen, spritzende Wasserschläuche etc. pp. Der Phantasie sind hier wirklich keine Grenzen gesetzt. Das Aussacken sollte auf einem sicheren Gelände stattfinden (auch unter Berücksichtigung der oben genannten 10 Punkte) und immer (!) von beiden Seiten aus durchgeführt werden. Am besten fängt man mit der Schulter an, dann Bauch, Flanken, Rücken, Hals, Kruppe, Beine, und zum Schluss am Kopf. Das Aussacken fängt man mit leichten, leisen, kleinen Sachen an. Später kann man größere und lautere Sachen benutzen. Das Gewöhnen an Longe, Leinen, Gerte, Peitsche, Sattel und Zaumzeug kann man gut ins Ausack-Training mt einbauen.
- Kleine Tricks
Gut ist e auch sein Pferd frühzeitig an ihm unangenehme Dinge zu gewöhnen. Hierzu zählen zum Beispiel das Maul öffnen und sich etwas hineinspritzen zu lassen. Man sollte sehr behutsam mit seinem Tier umgehen, schließlich ist die Maulpartie mit am empfindsamsten beim Pferd und es musste noch nie (in der Herde) sein Maul auf Befehl/Druck hin öffnen. Es ist also eine völlig neue und ungewohnte Situation für das Pferd.Beginnen tut man mit einem Finger, den man langsam ins Maul hineinschiebt. Gelingt dies gut bringt man es sorgsam dazu sein Maul ganz zu öffnen. Hierzu drückt man einfach leicht auf die Pferdezunge.Nun kann man…
… dem Pferd ein Gebiss ins Maul schieben. Die ersten paar Male kann man das Gebiss gut mit Honig oder Sirup versüßen. Auch Gebisse aus Kupfer und rostendem Eisen schmecken süß. Wenn es fertig geschleckt hat, nimmt man das Gebiss wieder raus. Ganz wichtig ist, dass man die Zähne des Pferdes möglichst nicht berührt und die Trense/Gebiss in Ruhe lässt (kein Zupeln, kein ziehen, kein zurechtrücken).
… dem Pferd etwas ins Maul spritzen. Man kauft sich einfach eine Spielzeug-Spritze aus dem LAden und füllt diese mit Apfelsaft oder Sirup. Diese Leckerei spritzt man dem Pferd einfach einige Male ins Maul. Die Wurmkur sollte kein Problem mehr darstellen.
- Unsicherer Grund
Wippen, Brücken, Planen, Wasser, Brücken mit Geländer, Tunnel, Pferdeanhänger, enge Gassen usw. können sehr bedrohlich auf Pferde wirken. Das Gewöhnen an diese Gegenstände muss sehr langsam und behutsam vonstatten gehen. Am besten man beginnt mit den Sachen, die das Pferd schon vom Aussacken her kennt (zum Beispiel die Plane).
Das Pferd muss bei diesen Übungen lernen den angstbesetzen Weg zu wählen. Man sollte drauf aufpassen, dass das Pferd seine Aufmerksamkeit nicht von diesem weg nimmt. Wenn eine Situation das Pferd stresst kann es sein, dass das Pferd die ganze Geschichte einfach ausblendet indem es wegguckt. Dies kann man dem Vierbeiner nicht erlauben. Er soll sich ja mit der Situation auseinander setzen und bewusst den beängstigenden Weg wählen. Will das Pferd einen anderen Weg wählen (außer den beängstigenden), dann sollte dieser Weg unbequem für ihn sein (= zupfen am Strick, rückwärts richten, schnellere Gangart, wegschicken — kurz: unentspannt). Entspannung bekommt das Pferd am besten auf den angstbesetzten Weg, oder nach der Übung. Wenn man das Pferd aber auf der Plane beispielsweise anhalten lässt, vermeidet man später, dass es über angsterfüllte Wege rennt, oder sich vor beängstigenden Situationen mit wegrennen zu entziehen versucht.
Das Pferd kann bei diesen Übungen entweder geführt oder von hinten getrieben werden. Die Grundlagen vom Führen und Treiben müssen aber vor diesen Übungen unbedingt sitzen!
Quellenangaben:
Diacont, K. (2007). Pferde anreiten. Müller Rüschlikon Verlag
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